Schilling, Gustav: Encyclopädie der gesamten musikalischen Wissenschaften oder Universallexikon der Tonkunst, Stuttgart 1838 Viola d´amore, franz. Viole d´amour, deutsch Liebesgeige, ein Geigeninstrument von äußerst lieblichem Tone, das sich besonders zum Vortrag cantabler Sätze eignet. […] In seiner Bauart liegt […] hauptsächlich das äußerst Süße und Weiche, das in Wahrheit Liebe- und Sehnsuchtsvolle, das Schmelzende des Klanges dieses Instruments […] Früher war das Instrument der Liebling aller Gebildeten, und kein musikalischer Zirkel bildete sich, in welchem die Viola d´amour gefehlt hätte; jetzt, wo alles spektakelt und lärmt, ist sie fast ganz vergessen worden. Freilich ist sie auch etwas schwierig zu behandeln, und lassen sich auf ihr nicht solche Trillerkunststückchen ausführen, als auf manchem anderem Saiteninstrumente und wie sie heutzutage notwendig sind, wenn der Virtuose noch irgend einen Bravoruf der Menge erpressen will. Die Liebesgeige ist lauter Sanftmuth, lauter Gefühl, und nur wer ein für solche zarte Seelenhauche empfängliches Herz hat, wird große Freude an ihr haben. Ihre Freude wie ihre Trauer ist gemäßigt, aber tief das Herz ergreifend und das Innerste durchdringend. […] Zu den Bildern: Oben Unten |
Beschreibung des Instruments
Die Viola d’amore, ein solistisches, für chorische Besetzung ungeeignetes Instrument ist eine besondere Art der Geigen (Leopold Mozart, Versuch einer gründlichen Violinschule 1756) und gehört baulich zur Gambenfamilie. Sie hat jedoch niedrigere Zargen, da das Instrument „da braccio“, auf dem Arm gespielt wird. Der Korpus der Viola d´amore kann sowohl in der Größe wie auch von der einfachen Gamben-Form bis zu wellenförmig geschwungenen Umrissen variieren, wie sie u.a. im 18. Jh. Paulus Alletsee, Thomas Hulinzky oder Johann Ulrich Eberle bauten. Statt der Schnecke schließt meist ein Engelsköpfchen mit verbundenen Augen als Cupido (= die blinde Liebe) den Hals ab, aber auch Schnecken und andere fantasievolle Formen kommen vor.
Ein besonderes Merkmal der Violen d’amore sind die Schall-Löcher. Im Gegensatz zum C der Gamben und den F-Löchern der Geigen sind sie schlangen- oder flammenförmig. Manche Instrumente haben zusätzlich eine Rosette, die aber keinen klanglichen Einfluss hat.
Im Gegensatz zu den Geigen-Instrumenten haben die Violen d’amore 5 – 7, meistens aber 6 oder 7 Spiel- und gleichviel, mehr, weniger oder auch gar keine Resonanzsaiten. Um 1700 waren wohl Instrumente mit sechs Spiel- und sechs Resonanzsaiten die Norm, erstmals von Daniel Speer 1687 beschrieben in Grund=richtiger/ Kurtz=Leicht=und Nöthiger/ jetzt Wol=vermehrter Unterricht / der / Musicalischen Kunst. Als frühste schriftliche Quelle für Resonanzsaiten an der siebensaitigen Viola ist Pinarolis Polyanthea Technica (1718) bekannt.
Am häufigsten wird dieselbe Anzahl und Stimmung der Resonanzsaiten wie bei den Spielsaiten verwendet. Eine bewusst abweichende Stimmung ist aber auch möglich und wird als Klangeffekt z.B. von zeitgenössischen Komponisten eingesetzt. Es gibt aber auch Violen mit doppelt soviel oder noch mehr Resonanz- als Spielsaiten, die dann diatonisch oder chromatisch gestimmt werden können. Solche Instrumente werden auch Englisches Violet genannt – obwohl diese Bezeichnung nicht völlig geklärt ist … Auch heute werden, je nach der zu spielenden Musik, Instrumente mit oder ohne Resonanzsaiten verwendet.
Die durch den hohlen Hals geführten Resonanzsaiten werden im Wirbelkasten an Wirbeln oberhalb der Spielsaiten befestigt, wobei der Wirbelkasten an dieser Stelle vorne oder hinten offen sein kann. Unten können die Resonanzsaiten unterschiedlich befestigt sein: a) am häufigsten an Stiften im Unterklotz; b) an kleinen Knöpfen in einem auf der Decke unter dem Saitenhalter aufgeleimten Steg (bekannt aus Süddeutschland u.a. von Johann Paul Schorn, Salzburg 1658-1718 und Anthony Posch, Wien ca. 1677-1742); c) in Haken im Saitenhalter. Selten ist die Aufhängung der Resonanzsaiten an im Korpus „versteckten“ Harfenwirbeln, die man mit Hilfe eines kleinen Schlüssels an ihrer Befestigung am Unterklotz stimmt. Ein solches Instrument baute Matthias Kayssler Anfang 21. Jh.
Im 17.-18. Jh. war die Viola d´amore mit Darmsaiten bezogen, wobei die tieferen mit Draht (meist Silber) umsponnen waren, wie es auch jetzt besonders bei der historischen Aufführungspraxis üblich ist. Heute gibt es auch metallumsponnene Kunststoff-Saiten und reine Metallsaiten. Nur die Resonanzsaiten sind immer aus Metall.
Die Viola d´amore kennt keine fixe Stimmung wie z.B. die Geige (Quinten). Der Stimmakkord richtet sich vor allem im 17.-18. Jh. nach der Tonart des Stückes. Bereits 1732 gibt Johann Friedrich Bernhard Caspar Majer in Neu=eröffneter Theoretisch=und Pracktischer / Music=Saal 17 verschiedene Stimmakkorde an, in denen Sekund-, Terz-, Quart- und Quintschritte vorkommen. Ein c-moll oder C-Dur Akkord wird 1732 von Johann Gottfried Walther in Musicalisches / Lexicon als mögliche Grundstimmung genannt, später wurde D-Dur / d-moll eine Art Standart-Stimmung (z.B. bei Carl Stamitz, Giovanni Toeschi), die auch im 19. Jahrhundert meist verwendet wurde. Zeitgenössische Komponisten verlangen heute gelegentlich wieder ihren Werken entsprechende, oft sehr ungewöhnliche Stimmungen, die auch Sexten enthalten können.
Die schönsten alten Violen d´amore stammen aus dem Ende 17.-18. Jh. – auch von Antonius Stradivari ist ein Bauplan erhalten. Auch heute bieten viele Geigenbauer wunderschöne Violen d´amore an, sowohl mit fünf, sechs oder sieben Saiten, so dass die Spieler bei Konzerten Instrumente verwenden können, die den Werken vom Barock bis heute entsprechen. Nur wenige Namen bedeutender Geigenbauer mögen folgen, eine ausführliche Auflistung für das 17.-19. Jh. siehe Heinz Berck, Die Viola d´amore (2015):
Johann Paul Schorn, Salzburg (1682-1758); Anthony Posch, Wien (ca. 1677-1742); Paulus Alletsee, München (1684-1733); Johann Udalricus Eberle, Prag (1699-1768); Johann Georg Hellmer, Prag (1687-1770); Johann Joseph Stadlmann, Wien (1720-1781); Lorenzo Carcassi, Florenz (fl. 1750-80); David Bittner (1821-1857); Alfred Coletti, Wien (1878-1929). Heute bauen u.a. Josef Huber (Berlin), Arnold Posch (Hall in Tirol), Jonathan Hill (London), mehrere Meister in Cremona und manche weiteren Geigenbauer schöne Violen d´amore.
Zur Geschichte der Viola d´amore
Die Herkunft der Viola d´amore ist nicht geklärt. 1649 schreibt der Musiker Ritter aus Hamburg in einem Brief an seinen Fürsten Wilhelm IV. von einer […] Viole mit 5 seiten, welche genennet wird Viole d´amour auf verstimte manier zu bebrauchen nebendst einer guten Violdegamb. […] Diese frühste Nennung des Namens Viola d´amore impliziert aber, dass das Instrument mit der Möglichkeit verschiedener Stimmungen der Saiten bereits vorher existierte. Weitere Quellen zur Viola d´amore folgen im letzten Viertel des 17. Jhs. aus England und Norddeutschland, stets für Instrumente ohne Resonanzsaiten. Auch im süddeutschen Bereich gibt es diese Art, in Wien sind sie um 1700 als Violino a cinque corde beliebt. Kompositionen dafür sind u.a. von Kaiser Leopold I. erhalten.
Ende 17. Jahrhundert sind Violen d´amore mit sechs Spiel- und sechs Resonanzsaiten wohl die Norm, erstmals von D. Speer 1687 beschrieben. Über die Herkunft der Resonanzsaiten gibt es verschiedene Theorien, in wichtigen musikalischen Traktaten werden sie aus England für die Gambe genannt (1619 M. Praetorius, 1627 Francis Bacon, 1644 Marin Mersenne). Die Kenntnis von Resonanzsaiten ist möglicherweise über die Handelswege von Indien nach England gelangt. Die Viola d´amore könnte sie von der um 1700 beliebten englischen Lyra Viol übernommen haben, deren berühmter Virtuose William Young auch etliche Jahre in Innsbruck verbrachte. Die erste bildliche Darstellung einer Viola d´amore 6/6 findet sich im Engelskonzert des Deckenfreskos von Johann Michael Rottmayr in der Dreifaltigkeitskirche Salzburg, wo zur selben Zeit Johann Schorn Violen d´amore baute und Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704) wirkte. Seine Partia für 2 Violen d´amore gehört zu den schönsten Werken für die Viola. Siebensaitige Instrumente gibt es seit Beginn des 18. Jh., sie werden allmählich die sechssaitigen zurückdrängen, ohne dass diese ganz verschwinden.
Besondere Blütezeiten der Viola d´amore
Ausführliche Register der Komponisten für Viola d´amore siehe: Heinz Berck, Viola d´amore Bibliogrphie (1986), sowie Michael und Dorothea Jappe Viola d´amore Bibliographie bis 1800 (1997). Hier folgt nur eine knappe Übersicht der wichtigsten Namen!
Um 1700 im süddeutschen Raum, wo sie besonders in manchen Klöstern gepflegt wurde, wie in Nonnberg / Salzburg. Wichtigster Komponist war Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704). Ein Manuskript aus dem Benediktinerstift Göttweig in Niederösterreich bietet reiches Spielmaterial. Die darin enthaltenen durchwegs anonymen Suiten dürften von zum Teil von ausgezeichneten Komponisten aus dieser musikalischen Landschaft stammen (Neuausgabe bei Helbling Verlag, Hrg. Marianne Rônez). Aus Italien sind Attilio Ariosti und Antonio Vivaldi zu nennen, in Frankreich hat die Viola d´amore noch keine Bedeutung.
Erste Hälfte 18. Jh.: Die meiste Musik für Viola d´amore haben wir von Hofkapellmeister Christoph Graupner aus Darmstadt (1683-1760)
Zweite Hälfte 18. Jh., die „klassische“ Zeit der Viola d´amore, mit Giovanni Toeschi (1735-1800), Johann Georg Albrechtsberger (1736-1809), Friedrich Wilhem Rust (1739-1796), Carl Stamitz (1745-1801) und böhmische Komponisten. Lehrwerke mit Musikstücken von Anton Huberty (ca. 1722-1791) und Louis Toussaint Milandre (fl. 2. H. 18. Jh.)
Vor und um 1900 Renaissance der nie ganz vergessenen Viola d´amore. Mit der Gründung der Société des Instruments Ancien 1875 (Vielle, Viola d´amore, Viola da gamba, Cembalo) durch Louis van Waefelghem (1840-1908) war ein wichtiger Impuls gegeben, der u.a. von Henri Casadesus (1879-1947), Frank Martin (1890-1947) und Paul Hindemith (1895-1963) weitergeführt wurde. Es entstehen etliche Lehrwerke, u.a. von Jan Kral (1870), Karl Zoeller (1885), Markus Leo Goldis (1916), und bereits im 20. Jh. A. Corras (1924) und Karl Stumpf (1957/1965).
Im 20. Jh.: Wenige ausgewählte Pioniere des Spiels auf der Viola d´amore sind: Emil Seiler (D), Jaroslav Horák (CZ), Medardo Mascagni (IT), Myron Rosenblum und Daniel Thomason (USA, 1977 die Begründer der Viola d´amore Society). Einen wichtigen Beitrag zur Viola d´amore verdanken wir Heinz Berck, dem unermüdlichen Forscher zu allen Aspekten unseres Instruments.
Ab Mitte 20. Jh. nimmt das Interesse an der lieblichen Viola wieder zu und es entstehen bis heute viele interessante neue Werke, wie die von Bruno Maderna, René Clemencic, Sergio Mauri, Garth Knox und vielen anderen. So ist die Viola d´amore heute wieder ein sehr geschätztes Instrument, das viele sehr gute, an alter wie neuer Musik interessierte Spieler verwenden.
Heute befassen sich auch immer mehr Musiker wissenschaftlich mit der Geschichte und dem Bau der Viola d´amore. Neben den bereits erwähnten Bibliographien von Heinz Berck und Michael und Dorothea Jappe sind im Buch Die so lieblich klinget. Beiträge zum Instrument, zur Musik für Viola d´amore und zu ihrer Geschichte, 2016 (Hrg. Marianne Rônez, Helbling Verlag) interessante Vorträge vom Viola d´amore Congress 2012 in Innsbruck zusammengefasst und ergeben einen guten Überblick zum Instrument – weitere Beiträge werden sicher folgen!
Marianne Rônez-Kubitschek und Ernst Kubitschek